«Palais de Rumine», Hauptgebäude der Universitätsbibliothek in Lausanne. (Bild Guérin Nicolas/Wikipedia)
(27. Juni 2025) Könnte der grausame Krieg zwischen Israel und Palästina endlich Gelegenheit bieten, die Aufgabe der Universitäten wieder ins Bewusstsein zu rücken? Die Rektorate stottern, ärgern sich, die Studenten demonstrieren, die Polizei greift manchmal ein – das Bild ist erbärmlich.
Suzette Sandoz. (Bild https://blogs.letemps.ch/suzette-sandoz/)
Die Westschweizer Zeitung Le Temps vom 4. Juni 2025 berichtete (S. 6), dass «die Uni Genf unter Druck ihre Partnerschaften mit Israel aufkündigt», präzisiert jedoch, dass «die Uni Genf keinen akademischen Boykott durchführt, wie dies seit Februar 2022 gegenüber Russland der Fall ist, sondern erklärt, dass die [politische Lage in Israel die bestehenden Abkommen de facto aushöhlt]».1
Es gibt also einen akademischen Boykott gegenüber Russland und Vereinbarungen mit Israel, die ihrer Substanz beraubt sind. Eine feine Nuance!… Anstatt den Studierenden die Fähigkeit und die Bereitschaft zu vermitteln, mit Andersdenkenden zu sprechen und zu diskutieren, lehrt die Uni Genf ihnen Ausgrenzung, Unaufrichtigkeit und die Kunst der Schönrederei.
Ein Programm für die Zukunft!!!
Aus den Nachrichten vom Donnerstagabend, 12. Juni, erfahren wir, dass die Universität Lausanne den Forderungen der für Palästina demonstrierenden Studentengruppe nachgegeben und «aus ethischen Gründen» ihr Austausch- und Kooperationsabkommen mit der Hebräischen Universität Jerusalem gekündigt hat; dieser wird vorgeworfen, bei der Ausbildung einiger ihrer Absolventen mit dem Militär zusammenzuarbeiten. Wahrscheinlich um sich selbst zu entlasten, weist das Rektorat darauf hin, dass dieses Abkommen nur sehr wenige Austauschprogramme ermöglicht habe. Was für eine feige Ausrede!
Die Kunst des Dialogs lehren statt Hass und Ausgrenzung
Mit zwanzig ist man grosszügig, temperamentvoll, ein wenig anarchistisch und sehr idealistisch. Ist man das nicht, dann ist man schon alt. Aber gerade die akademische Ausbildung sollte dazu beitragen, diese Energie und diesen Elan zu kanalisieren und in eine positive Kraft umzuwandeln. Da die Wissenschaft, ob «hart» oder «weich», nur durch Diskussion und den Austausch von Ideen Fortschritte gemacht hat und bei Verboten und Zensur Rückschritte erleidet, sollte die Universität die Fähigkeit zum Umgang mit anderen Menschen und den Willen vermitteln, die sterilen oder tödlichen politischen und militärischen Konfrontationen der «Erwachsenen» zu überwinden. Es ist gerade über die idealistische Jugend, dass Brücken über den Hass zwischen Erwachsenen hinweg gebaut werden können.
Wenn sie dem Druck der Öffentlichkeit nachgeben, die Beziehungen zu russischen oder israelischen Universitäten abzubrechen, bestrafen die Universitäten die Zivilbevölkerung und die Jugend für die Fehler, Missbräuche oder Verbrechen der Machthaber in ihrem Land. Sie tragen dazu bei, mörderischen Hass zu schüren, und fördern rachsüchtige Ausgrenzung.
Im Gegensatz zur diplomatischen Welt müssen Universitäten nicht diskret vorgehen. Im Gegenteil, sie müssen lautstark ihren Wunsch und ihre Mission bekunden, die Studierenden dazu anzuregen und zu ermutigen, sich über Grenzen hinweg kennenzulernen und miteinander zu sprechen. Sie müssen es wagen, Begegnungen und gewaltfreie verbale Auseinandersetzungen zu organisieren und den Austausch zwischen den Ländern durch ihre idealistischen und oft grosszügigen jungen Studierenden so weit wie möglich zu fördern.
Die Diplomatie hingegen muss diskret vorgehen, da sie Verhandlungen zwischen Vertretern der Macht, also des Staates und nationaler Befindlichkeiten, sicherstellt. Der Austausch zwischen Studierenden betrifft Wissen, Zukunftspläne, Begeisterung, Hoffnungen, vielleicht auch Utopien. Es sollte noch keine lähmende Vergangenheit geben, oder wenn es bereits eine gibt, hat die Universität die Aufgabe, möglichst zu verhindern, dass sie zu einer Ursache für Isolation und Tod wird.
Mit der Aufkündigung ihrer Partnerschaften in Israel und dem Boykott ihrer akademischen Beziehungen zu Russland hat die Uni Genf unter dem Einfluss politischer Propaganda ihre Aufgabe verraten. Die Universität Lausanne ist ihr in Bezug auf Israel gefolgt (hat sie dies zuvor auch in Bezug auf Russland getan? Ich hatte keine Gelegenheit, dies zu überprüfen). Diese beiden Institutionen, die eigentlich daran arbeiten sollten, die Zukunft zu gestalten, haben in keiner Weise dazu beigetragen, das Leiden der Völker im Krieg (Ukrainer, Russen, Palästinenser, Israelis) zu lindern oder eine mögliche Brücke zum Frieden zu schlagen. Sie haben lediglich Rachegelüste und Ausgrenzungspraktiken gefördert und damit gegen ihr eigenes Credo verstossen. Das ist sehr bedauerlich.
* Suzette Sandoz wird 1942 in Lausanne geboren. 1964 schliesst sie ihr Studium in Rechtswissenschaften an der Universität Lausanne ab und erhält 1974 ihr Doktorat. Von 1990 bis zu ihrer Pensionierung 2006 ist sie Ordentliche Professorin im Privatrecht mit Schwerpunkt Erb- und Familienrecht, von 2002 bis 2004 zusätzlich Dekanin der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Lausanne. Von 1986 bis 1991 ist Suzette Sandoz Mitglied des Grossen Rates des Kantons Waadt für die Liberale Partei und von 1991 bis 1998 Mitglied des Nationalrats.
1 Der Teil in Klammern ist ein Zitat aus dem Artikel. |
Druckversion:
D_Gesellschaft_Sandoz_Die-Universitaeten-werden-ihrer-Aufgabe-nicht-gerecht.pdf (1,6 MiB)
Quelle:
Übernommen von https://seniora.org/erziehung/schule-bildung/die-universitaeten-werden-ihrer-aufgabe-nicht-gerecht,
die wiederum übernommen von schweizer-standpunkt.ch am 27.6. übernommen hatten.