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Der Terror – ein etwas anderer Blick

Posted on 2. Dezember 20156. Mai 2017 By Jürgen Günther

Unser Mit­glied Dr. Gün­ter Rexi­li­us wirft einen etwas ande­ren Blick auf das aktu­el­le The­ma Ter­ror, den wir Ihnen zur Lek­tü­re emp­feh­len:

*Paw­low in Paris *

*oder: Spreng­stoff in unse­ren Köp­fen*

Von Gün­ter Rexi­li­us

(Hier als Word-Doku­ment: Rexilius.PawlowinParis.doc)

Der Ter­ror. Wel­cher Ter­ror? Jede ein­fa­che Ant­wort auf die­se Fra­ge macht ihn
gefähr­li­cher. Sie ernst­haft zu beant­wor­ten bedeu­tet, danach zu fra­gen, was
wir mit ihm zu tun haben. Wenn wir ehr­lich uns selbst gegen­über sind,
rei­chen ein paar Sät­ze oder Absät­ze nicht aus, unse­ren Anteil ins wache
Den­ken und Füh­len zu holen. Die fol­gen­den Über­le­gun­gen ver­su­chen eine
his­to­risch-psy­cho­lo­gi­sche Annä­he­rung.

*Die Not­wen­dig­keit*

Wir wol­len nicht um Men­schen wei­nen, nicht um die uns nächs­ten und auch
nicht um ande­re. Wir wol­len nicht trau­ern um Men­schen, die der Gewalt
ande­rer Men­schen zum Opfer fal­len. Wir wol­len nicht vol­ler Schmerz am Grab
derer ste­hen, die mensch­li­che Grau­sam­keit mit­ten aus ihrem Leben geris­sen
hat. Wir wol­len das nicht, nie­mand will das, nir­gend­wo auf der Welt.

Weil die­se Gefüh­le und die­ses Wol­len uns mit den meis­ten Men­schen ver­bin­den,
soll­ten die Pari­ser Anschlä­ge uns inne­hal­ten las­sen. Wir soll­ten nach­den­ken,
also das tun, was uns von allen, die sich der Gewalt bedie­nen, trennt:
unse­re huma­nen Fähig­kei­ten nut­zen, also unse­re Klug­heit und unse­re Empa­thie.
Die bri­san­ten Spreng­sät­ze der ver­ba­len Scharf­ma­cher, die uns nun wie­der
sug­ge­rie­ren wol­len, es gäbe etwas gemein­sam zu ver­tei­di­gen und wir sei­en
alle bedroht und poten­zi­el­le unschul­di­ge Opfer, kön­nen am wirk­sams­ten
wis­send und wach­sam ent­schärft wer­den. Auf die­se Wei­se tra­gen wir dazu bei,
die Ori­en­tie­rung nicht zu ver­lie­ren und unse­re Hoff­nung nicht auf­zu­ge­ben,
men­schen­ge­mach­te Lei­dens­strö­me könn­ten ein­ge­dämmt, viel­leicht sogar been­det
wer­den.

Hof­fen las­sen, so absurd der Gedan­ke im ers­ten Moment erschei­nen mag, die
Atten­tä­ter ‑um die auch geweint wer­den darf, weil sie ihre jun­gen Leben
einer Idee oder einem Ziel geop­fert haben, die uns so sinn- und halt­los
erschei­nen -. Sie haben nicht nur sich und Dut­zen­de zufäl­lig Anwe­sen­de in
den Tod geris­sen, son­dern auch uns eine Bot­schaft ins Bewusst­sein gerammt:
Die Not­wen­dig­keit eines epo­cha­len Wan­dels ernst zu neh­men, die Not, die uns
und vie­len Ande­ren welt­weit in der See­le brennt, jetzt zu wen­den.

Jetzt heißt: nicht mor­gen, nicht in eini­gen Mona­ten oder Jah­ren, son­dern
sofort. Wenn wir die Dyna­mik der Gewalt nicht stop­pen, könn­ten nicht
Luft- und Was­ser­ver­schmut­zung, Pes­ti­zi­de und Anti­bio­ti­ka in der Nah­rung und
noch Hun­dert­tau­sen­de Jah­re strah­len­der hoch­gif­ti­ger Atom­müll die Erde, auf
der wir leben, zu einem unwirt­li­chen Pla­ne­ten wer­den las­sen, son­dern die
gna­den­lo­se Spra­che von Bom­ben, Gra­na­ten, Maschi­nen­pis­to­len und Droh­nen
könn­te den Auf­ent­halt in vie­len Regio­nen zu einem Hor­ror vol­ler Angst
machen. /Unsere/ Spra­che aber soll­te sich zu den Hin­ter­grün­den vor­der­grün­dig
unbe­greif­li­cher Gewalt­ta­ten äußern. Um sie und ihre Geschich­te zu ver­ste­hen,
müs­sen wir unse­ren Blick zurück rich­ten, zu den Quel­len der aktu­el­len Wir­bel
im Fluss der Ereig­nis­se.

*Der Ter­ror*

*Afri­ka I. Kolo­nia­lis­mus*. Mit­te des 19. Jahr­hun­derts wur­den wei­te Tei­le des
Kon­ti­nents Afri­ka von Bewoh­nern des Kon­ti­nents Euro­pa besetzt, mit bis heu­te
nur unzu­läng­lich bewuss­ter, weit­ge­hend ver­dräng­ter bru­ta­ler Gewalt gegen die
Ein­hei­mi­schen. Sie wur­den ver­sklavt, wie Tie­re geschun­den – und auch
viel­fach als sol­che beschrie­ben -, ihr natür­li­cher Reich­tum wur­de ihnen
genom­men, ihr kul­tu­rel­les Erbe als min­der­wer­tig miss­ach­tet und zer­stört oder
eben­falls gestoh­len. Als die Kolo­nia­lis­ten Anfang des 20. Jahr­hun­derts
abzo­gen, nicht aus Ein­sicht in ihr men­schen­ver­ach­ten­des Wüten und das
Unrecht ihrer Ideen und Hand­lun­gen, son­dern aus vie­ler­lei ande­ren, macht-
und geo­po­li­ti­schen Grün­den vor allem, hin­ter­lie­ßen sie in wei­ten Tei­len
unbe­wohn­ba­re Land­schaft und, falls sie sie nicht längst aus­ge­rot­tet hat­ten,
geschun­de­ne, bis in die letz­ten Fasern ihrer Exis­tenz trau­ma­ti­sier­te
Men­schen, die meis­ten ori­en­tie­rungs­los. Unstill­ba­re Wut, die kei­nen Zugriff
auf die nach Euro­pa ver­schwun­de­nen Ein­dring­lin­ge hat­te, rich­te­te sich – und
tut es bis heu­te – gegen ande­re Ein­ge­bo­re­ne. Die­sen irra­tio­na­len Impul­sen
genügt ein sprach­li­cher Akzent oder ein frem­der Göt­ze oder ein Lid­schlag, um
sie wie einen Orkan los­bre­chen zu las­sen, ver­dräng­tes, aber in den
Erzäh­lun­gen ihrer Völ­ker unver­gess­lich auf­be­wahr­tes Leid.

*Viet­nam*. Der tech­ni­sier­te Mas­sen­ord poli­ti­scher Geg­ner durch die deut­schen
Faschis­ten und ihr Ver­such, das jüdi­sche Volk mit bes­tia­li­schen Mit­teln
aus­zu­rot­ten, akti­vier­te bei Euro­pä­ern und Nord­ame­ri­ka­nern huma­ni­tä­re – mit
macht­po­li­ti­schen Kal­kü­len durch­misch­te
– Hand­lungs­mus­ter. Gemein­sam mit der Sowjet­uni­on berei­te­ten die Alli­ier­ten
dem faschis­ti­schen Grau­en ein Ende, aber kei­nes­wegs der recht­lo­sen
Okku­pa­ti­on ande­rer Län­der. Frank­reich und die USA haben nach
1945 drei­ßig Jah­re lang Viet­nam, die­ses klei­ne Fleck­chen Erde am Ran­de
Asi­ens, mit allen ihnen zur Ver­fü­gung ste­hen­den mili­tä­ri­schen Mit­teln fast
dem Erd­bo­den gleich­ge­macht. Mil­lio­nen Men­schen star­ben, che­mi­sche
Kriegs­füh­rung mit Napalm – unter ande­rem war Mons­an­to an der Pro­duk­ti­on
betei­ligt – ver­krüp­pel­te vie­le und mach­te wei­te Tei­le des Lan­des für
Jahr­zehn­te unbe­wohn­bar. Ein Volk, ein Land wur­den Opfer des Hoch­muts der
fran­zö­si­schen Kolo­ni­al­her­ren, der bis heu­te für das euro­päi­sche
Selbst­ver­ständ­nis typisch ist: Sie waren über­zeugt, die­ses Land und sei­ne
Ein­woh­ner sei­en nun mal ihr Besitz; und der nicht weni­ger aktu­ell
geblie­be­nen Hybris der Ame­ri­ka­ner, sie sei­en die Hege­mo­ni­al­macht, der sich
jeder ande­re Staat, jedes Volk, jede Nati­on zu beu­gen habe. Sie vor allem
haben in die­sem Teil der Erde und in den dort leben­den Men­schen Spu­ren für
immer hin­ter­las­sen – wie auch die Tat­sa­che, dass vie­le euro­päi­sche, vie­le
deut­sche Poli­ti­ke­rIn­nen die­se bar­ba­ri­sche Ver­hee­rung expli­zit gebil­ligt
haben.

*Kuba. Mit­tel­ame­ri­ka. Chi­le*. Die Furcht vor dem „Gespenst des Kom­mu­nis­mus“
gewann nach dem 2. Welt­krieg jen­seits des spä­te­ren „Eiser­nen Vor­hangs”
qua­si-reli­giö­se Züge. Sie führ­te zu einem bis dahin bei­spiel­lo­sen Feld­zug
gegen jede sozia­le oder poli­ti­sche Bewe­gung, die von repres­si­ven und
aus­beu­te­ri­schen Lebens­ver­hält­nis­sen befrei­en woll­te.
Mit mili­tä­ri­schen und geheim­dienst­li­chen, öko­no­mi­schen und indok­tri­nie­ren­den
Mit­teln wur­den Kuba für Jahr­zehn­te iso­liert und wirt­schaft­lich aus­ge­hun­gert,
Ché Gue­va­ra wie ein bös­ar­ti­ges wil­des Tier zur Stre­cke gebracht und Sal­va­dor
Allen­de und sein Modell eines sozia­lis­ti­schen, für die Armen und
Ver­elen­de­ten hoff­nungs­vol­len Zusam­men­le­bens in Grund und Boden gebombt.
Gan­zen Völ­kern wur­de die Hoff­nung auf ein von Unter­drü­ckung und Aus­beu­tung
frei­es Leben genom­men, aber die Erin­ne­run­gen an die­sen Traum und an die
Gewalt­tä­ter im Nor­den des Kon­ti­nents und in Über­see sind leben­dig geblie­ben.

*Afri­ka II. Neo-Kolo­nia­lis­mus*. Mit­te des letz­ten Jahr­hun­derts begann Euro­pa
die­sen ver­wun­de­ten Kon­ti­nent ein zwei­tes Mal heim­zu­su­chen, wur­de die
Kolo­ni­al­ge­schich­te nahe­zu naht­los fort­ge­schrie­ben. Die kor­rup­ten
wirt­schaft­li­chen und poli­ti­schen­Eli­ten in den afri­ka­ni­schen Metro­po­len, die
oft Kol­la­bo­ra­teu­re gewe­sen waren, und­ty­ran­ni­sche Stam­mes­fürs­ten als
geleh­ri­ge Schü­ler der wei­ßen Her­ren in den Fächern Grau­sam­keit und
Skru­pel­lo­sig­keit, öff­ne­ten die Tore für die nächs­ten Raub­zü­ge.
Han­dels­ver­trä­ge, die alle wich­ti­gen Boden­schät­ze für ein paar Cent oder
Pen­nies sicher­ten, Arbeits­skla­ven, die für Almo­sen oder gar kei­ne Löh­ne zu
arbei­ten gezwun­gen wur­den, auf euro­päi­sche Bedürf­nis­se zuge­schnit­te­ne
Agrar­pro­duk­ti­on, die vie­le Afri­ka­ner mit Hun­gers­nö­ten bezah­len, Aus­trock­nung
lebens­wich­ti­ger loka­ler Märk­te durch Bil­lig­im­por­te aus Euro­pa, von
euro­päi­schen Flot­ten leer­ge­fisch­te Gewäs­ser mit der Fol­ge von Hun­ger und
Man­gel­er­näh­rung der Afri­ka­ner, Ver­trei­bung von Mil­lio­nen und Mil­lio­nen von
ihrem Grund und Boden in Hun­ger und Elend zum Vor­teil euro­päi­scher
Inves­to­ren: Alles ist rech­tens, auch die Pri­vat­ar­meen der Kon­zer­ne, die mit
hin­läng­lich doku­men­tier­ter Bru­ta­li­tät jen­seits von Recht und Gesetz zur
Arbeit antrei­ben, wüten, töten. So sieht expor­tier­tes euro­päi­sches Recht
aus, Men­schen­recht in der Spra­che der poli­ti­schen, öko­no­mi­schen und
mili­tä­ri­schen Aggres­so­ren, deren Opfer zahl­los sind, unsäg­lich ihr Schmerz,
ohn­mäch­tig ihr Zorn.

*Asi­en.* Als eine gro­ße Tex­til­fa­brik in Ban­gla­desh zusam­men­brach und mehr
als Tau­send Men­schen unter sich begrub, nahm Euro­pa kurz Kennt­nis, gelob­te
Bes­se­rung und ging dann zum All­tag über – zum eige­nen wie zu dem der
Men­schen, die in fast allen asia­ti­schen Län­dern die Waren her­stel­len, die
das Leben der Pro­fi­teu­re – also auch unse­res – so ange­nehm, bequem, froh und
bunt machen: Tex­ti­li­en, Leder­wa­ren, elek­tro­ni­sche Gerä­te, Kaf­fee, Tee,
Kakao, Früch­te und Blu­men. Mil­lio­nen Men­schen müs­sen für sie aus­ge­presst
ihre letz­ten Lebens­fun­ken las­sen, sie quä­len sich unter Bedin­gun­gen, die sie
ver­seu­chen und ver­gif­ten, ohne jeden Schutz vor Gefah­ren, oft sie­ben Tage in
der Woche von Son­nen­auf­gang bis Son­nen­un­ter­gang. Sie vege­tie­ren unter
Bedin­gun­gen, die wir unse­ren Kühen und Schwei­nen nicht zumu­ten. Sie ster­ben
früh, ihre Kin­der haben schon bei der Geburt Elend und Tod vor Augen. Die
meis­ten von ihnen lei­den vom ers­ten bis zum letz­ten Tag ihres kur­zen Lebens;
die Gewiss­heit, dass es trotz aller Beteue­run­gen von Mana­ge­rIn­nen und
Poli­ti­ke­rIn­nen kei­ne Bes­se­rung geben wird, ist zu einem fixen Bestand­teil
ihres hof­fungs­lo­sen Daseins gewor­den,

*Nord­afri­ka, Naher Osten, Afgha­ni­stan*. Was und wer immer Nine-Ele­ven zu
ver­ant­wor­ten hat – was seit 2001 als „Krieg gegen den Ter­ror“ geschieht,
ver­bin­det mit Recht und Gesetz, mit demo­kra­ti­scher Gewal­ten­tei­lung, mit
Ver­tei­di­gung von Men­schen­rech­ten nur mehr die Wort­hül­sen. Wenn die Krie­ge in
Irak und Afgha­ni­stan, die mili­tä­ri­schen Inter­ven­tio­nen in Afri­ka, Bom­ben und
Uran­mu­ni­ti­on und Droh­nen eine Bot­schaft trans­por­tie­ren, dann lau­tet sie: Wir
kön­nen Ter­ror bes­ser. Die Bro­schü­re „Body Count“ der IPPNW ist nur
vor­der­grün­dig eine Zusam­men­stel­lung von „nack­ten“ Zah­len – hin­ter ihnen
drän­gen sich zwei ernüch­tern­de Wahr­hei­ten der poli­tisch nicht kor­rek­ten
Erkennt­nis auf: Zum einen die Demas­kie­rung der soge­nann­ten Wer­te der
soge­nann­ten frei­en Welt, zum ande­ren das wahl­lo­se Töten von Men­schen als
Mit­tel von Poli­tik – jener, die das Pech haben, in Län­dern zu leben, die zur
Ziel­schei­be stra­te­gi­scher Bom­ber oder mit dem Joy­stick aus dem beque­men
Ses­sel her­aus abge­feu­er­ter Droh­nen wer­den,. Das Leid der­je­ni­gen, die ihre
Ange­hö­ri­gen, der Kin­der, die ihre Eltern, der Eltern, die ihre Kin­der bei
die­sen töd­li­chen Über­fäl­len ver­lo­ren haben, der Schmerz der Ver­letz­ten und
Ver­krüp­pel­ten, die Angst vor der nächs­ten nicht vor­her­seh­ba­ren Atta­cke, ist
tau­send­fach und quält sie seit Jahr­zehn­ten.
Irak, Afgha­ni­stan, Syri­en und Liby­en sind zu Sinn­bil­dern der blind­wü­ti­gen
Zer­stö­rung von Land­schaf­ten und der in ihnen leben­den Men­schen gewor­den. Der
euro­pa­wei­te Ruf von Poli­ti­ke­rIn­nen und Medi­en nach Aus­wei­tung des Krie­ges
gegen den Ter­ror als Reak­tio­nen auf die Pari­ser Anschlä­ge ver­heißt den
Men­schen in die­sen Regio­nen nichts als die Fort­set­zung ihres Lei­dens, ihrer
Angst, ihres trost­lo­sen Lebens als Ziel­schei­be für Kriegs­trei­ber und
Geheim­diens­te.

*Euro­pa I, Ent­wür­di­gung*. Alles scheint so weit weg und des­halb eige­nen
Wahr­neh­mun­gen und Gefüh­len so schwer zugäng­lich. Im nächst­ge­le­ge­nen
Super­markt und dem Restau­rant um die Ecke aber rückt uns die schi­ka­nier­te
Exis­tenz von Men­schen, die Bil­lig­prei­se für unse­re Waren und Luxus für unser
Wohl­be­fin­den garan­tie­ren, ganz nahe, wenn wir bereit sind, sie zur Kennt­nis
zu neh­men. Da sind die Opfer der euro­päi­schen –
sprich: deut­schen – Austeri­täts­po­li­tik euro­pa­weit; und die wie Arbeits­tie­re
gehal­te­nen Rumä­nen, Bul­ga­ren, Polen, Alba­ner, Koso­va­ren usw. auf Plan­ta­gen
und Fel­dern in Ita­li­en, Spa­ni­en, Por­tu­gal, Grie­chen­land – und auch in
Hol­land und Deutsch­land -, die in Ver­schlä­ge gepfercht wer­den, über die
Käfig­hüh­ner spot­ten wür­den; und die lohn­dum­ping­be­schä­dig­ten Hilfs­kräf­te in
Han­del und Gas­tro­no­mie; und die aus­ge­nutz­ten Fach- und Hilfs­kräf­te in
zahl­lo­sen Fabri­ken und auf Bau­stel­len, die über Werk­ver­trä­ge und
Sub­un­ter­neh­mer am Min­dest­lohn vor­bei – der als sozia­le Errun­gen­schaft
gefei­ert und über zahl­rei­che Aus­nah­me­re­geln gleich wie­der aus­ge­he­belt wird –
auf unters­tem Niveau bezahlt und oft von sie aus­neh­men­den Betrü­gern um das
weni­ge Ver­blie­be­ne gebracht wer­den. An vie­len Orten, an denen
ver­ant­wort­li­chen Poli­ti­ke­rIn­nen von Men­schen­rech­ten, über den Segen von
demo­kra­ti­schen Errun­gen­schaf­ten und wirt­schaft­li­cher Pro­spe­ri­tät reden,
könn­ten sie dort­hin spu­cken, wo ihre Phra­sen ad absur­dum geführt wer­den.
Jeder, jede Ein­zel­ne, die in der einen Fir­ma oder auf dem ande­ren Gemü­se­feld
oft bis zum Umfal­len schuf­ten müs­sen, hat Wün­sche wie wir, Träu­me, oft
Kin­der in der Hei­mat, die glän­zen­de Augen bekom­men, wenn Fern­se­hen und
Inter­net Bil­der von unse­rem Genuss und Ver­gnü­gen in ihre schä­bi­gen
Behau­sun­gen tra­gen. Das ist der Fluch, vor allem aber der Segen der neu­en
Medi­en, die Ansprü­che auf men­schen­wür­di­ge Lebens­be­din­gun­gen bei denen
beflü­geln, die um sie betro­gen wer­den, im Namen eben die­ser Men­schen­wür­de.

*Euro­pa II, Ras­sis­mus*. Euro­pa wird seit eini­gen Jah­ren von ihren Opfern
ganz direkt mit den Fol­gen sei­ner Kolo­ni­al­po­li­tik, sei­ner Macht­po­li­tik,
sei­ner Wirt­schafts­po­li­tik kon­fron­tiert. Es hat sich so etwas wie ein
qua­li­ta­ti­ver Sprung im Den­ken und Füh­len vie­ler, ganz vie­ler Men­schen
ereig­net: Sie erge­ben sich nicht mehr in ihr ihnen auf­ge­zwun­ge­nes Schick­sal,
son­dern haben begrif­fen, zumin­dest haben sie eine Ahnung davon bekom­men,
wohin ihre Reich­tü­mer ver­schwun­den sind und wer sie kon­su­miert, wer
pro­fi­tiert und wer die eigent­li­chen Scharf­ma­cher hin­ter der all­täg­li­chen
uner­träg­li­chen Gewalt sind. Sie haben sich zur rich­ti­gen Adres­se auf­ge­macht,
zu ihren Pei­ni­gern nach West‑, Mit­tel- und Nord­eu­ro­pa. Ihr Weg hier­her hat
die Qua­li­tät einer para­do­xen
Ent­de­ckungs­rei­se: Qua­len in der nord­afri­ka­ni­schen Wüs­te, Mas­sen­ster­ben im
Mit­tel­meer, Gewalt­er­fah­run­gen auf dem Bal­kan, wo sie getre­ten, geschla­gen,
ver­ge­wal­tigt und durch Sta­chel­draht­zäu­me aus­ge­sperrt wer­den, ent­blö­ßen die
euro­päi­sche Erzäh­lung von Men­schen­rech­ten als Camou­fla­ge eines offen­si­ven
Ras­sis­mus. Wer auch nur einen ein­zi­gen Flücht­ling in Zustän­de zurück
schi­cken will, die ihn bedro­hen, ihn krank machen, ihn hun­gern und frie­ren
las­sen, die ohne Zukunft und ohne Hoff­nung für sei­ne Kin­der sind, steckt ihm
die Bot­schaft ins Rück­rei­se­ge­päck, es sei­en die sei­ner Exis­tenz ange­mes­se­nen
Lebens­be­din­gun­gen. Egal an wel­cher Gren­ze, egal nach wel­chem Kon­zept, egal
mit wel­chen Maß­nah­men: Dub­lin III, längst vor­han­de­ne Auf­fang- und
Abschie­be­la­ger jen­seits der euro­päi­schen Gren­zen, Zäu­ne und Schwer­be­waff­ne­te
gegen erschöpf­te, ver­zwei­fel­te Men­schen, Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen,
Asyl­kor­ri­do­re und Abschie­be­ri­tua­le, Fron­tex und Tri­ton, und nicht zuletzt
die Gleich­gül­tig­keit gegen das Ster­ben im Mit­tel­meer, die Unter­tei­lung in
nütz­li­che und unnüt­ze Flücht­lin­ge und die see­li­scher Fol­ter glei­chen­de
Dul­dungs-Dyna­mik sind For­men des tech­no­kra­ti­schen Umgangs mit
Min­der­wer­ti­gen, die abge­wehrt, abge­schreckt, abge­scho­ben wer­den dür­fen. Die
euro­päi­sche, die deut­sche Flücht­lings­po­li­tik hat eine ras­sis­ti­sche Dyna­mik,
jen­seits von und noch vor Pegi­da und AfD; Stig­ma­ti­sier­te enden nicht mehr im
KZ – aber ihr Leben ist nicht viel wert. Die­se inzwi­schen all­täg­lich
beleg­ba­re Tat­sa­che ist nur zwei Syn­ap­sen von dem Gedan­ken, es könn­te sich um
lebens­un­wer­tes Leben han­deln, ent­fernt. Nur wenig emo­tio­na­le Phan­ta­sie
genügt, eine Vor­stel­lung davon zu gewin­nen, wel­che Emp­fin­dun­gen und Gedan­ken
sol­che Erfah­run­gen in den betrof­fe­nen Men­schen hin­ter­las­sen.

*Das Fazit*

Zu erwar­ten wäre, dass in der Mit­te Euro­pas, wo die Ver­tei­di­ger des
Huma­nis­mus, die Mah­ner Russ­lands und Chi­nas und die Apo­lo­ge­ten der
Men­schen­rech­te – die sie not­falls mit dem Gewehr im Anschlag und der Droh­ne
auf dem elek­tro­ni­schen Strah­len­weg zu ver­tei­di­gen bereit sind – zu Hau­se
sind, die Dia­lek­tik der Auf­klä­rung ihre nach­denk­li­che, ihre selbst­kri­ti­sche
und ihre welt­of­fe­ne Sei­te prak­tisch wer­den lässt.
Tat­sa­che ist, dass die Prot­ago­nis­ten der west­li­chen Hemi­sphä­re, Euro­pas und
Nord­ame­ri­kas, die Garan­ten des Lebens­stils der in ihnen leben­den Men­schen,
einen erbar­mungs­lo­sen Krieg gegen gro­ße Tei­le der Mensch­heit und der Natur
füh­ren. Wo immer Men­schen lei­den, wie immer sie in Elend und Not gera­ten,
was immer sie krank macht und einen frü­hen Tod ster­ben
lässt: Euro­pa ist in wei­ten Tei­len der Welt schul­dig oder mit­schul­dig,
ver­ant­wort­lich oder mit­ver­ant­wort­lich, Täter oder Mit­tä­ter. Nicht „der
Islam” , nicht irgend­wel­che isla­mi­schen oder hin­du­is­ti­schen oder
bud­dhis­ti­schen oder ande­re reli­gi­ös nicht im Chris­ten­tum ver­wur­zel­ten
Staa­ten oder Macht­syn­di­ka­te oder Des­po­ten ste­hen hin­ter den Schnei­sen von
Ver­wüs­tung und Ver­nich­tung, die sich über den Glo­bus zie­hen, son­dern die
poli­ti­schen und öko­no­mi­schen Reprä­sen­tan­ten der abend­län­di­schen
Zivi­li­sa­ti­on. Die Dere­gu­lie­rung der Märk­te, sprich: die zer­stö­re­ri­sche Logik
der Pro­fit­ma­schi­ne­rie, hat sich welt­weit in alle gesell­schaft­li­chen und
mensch­li­chen Lebens­grund­la­gen hin­ein­ge­fres­sen.
Bewusst in Kauf genom­me­ne Ver­seu­chung der Umwelt lässt die Lebens­be­din­gun­gen
für einen gro­ßen Teil der Mensch­heit immer uner­träg­li­cher und krank­ma­chen­der
wer­den. In die­sem für alle Men­schen bedroh­li­chen Sze­na­rio har­mo­nie­ren die
drei Säu­len des neo­li­be­ra­len
Wirt­schafts- und­Po­li­tik­kon­zept per­fekt: Exzes­si­ve, durch gesetz­li­che Regeln
nur punk­tu­ell und auch dann nur not­dürf­tig gebrems­te Aus­beu­tung von Men­schen
und Natur lie­fert ihre Ener­gie; als Steu­er­leu­te sind der unstill­ba­ren
Pro­fit­gier poli­ti­sche Macht­ha­ber über­all auf der Welt zu Diens­ten, durch
Kum­pa­nei, durch Kor­rup­ti­on, wenn es etwas vor­neh­mer abläuft durch
Kne­bel­han­dels­ver­trä­ge einer­seits, durch Miss­ach­tung demo­kra­ti­scher Regeln
und Ver­fah­rens­wei­sen ande­rer­seits – CETA, TTIP, TiS­Ausw. –; und wenn sie
jemand auf­hal­ten will, hilft die mili­tä­ri­sche Inva­si­on, die „unse­re
natio­na­len Inter­es­sen“ (Gauck), also unse­ren gestoh­le­nen Wohl­stand, sichert.
Den Men­schen, die der Pro­fit­ma­xi­me ein­ver­leibt wer­den, wird ihr Leben
genom­men, lan­ge bevor sie ihren letz­ten Atem­zug getan haben. Aus ihnen
wer­den Kin­der ohne Zukunft, Fami­li­en ohne Fami­li­en­le­ben, Krank­heit, Hun­ger
und Hoff­nungs­lo­sig­keit, eine Lebens­wirk­lich­keit, deren see­li­sche,
kör­per­li­che, exis­ten­zi­el­le Fol­gen die Kehr­sei­te unse­rer Zufrie­den­heit sind.

*Die Fol­gen*

Reli­giö­ser Fana­tis­mus, isla­mis­ti­sche Sym­bio­se sind Vehi­kel für die meis­ten
mus­li­mi­schen Gewalt­tä­ter und die­nen ihrer Recht­fer­ti­gung, aber sie sind
nicht der empi­ri­sche Kern ihrer Atten­ta­te und Über­fäl­le. Das kol­lek­ti­ve
Gedächt­nis der Aus­ge­beu­te­ten, die ver­bit­ter­ten und hass­erfüll­ten Gefüh­le der
Unter­drück­ten, Zer­bomb­ten, Ver­ach­te­ten, Aus­ge­grenz­ten bedie­nen sich Allahs
Namen und Auto­ri­tät, in dem sich ver­dich­tet, was sich als Ergeb­nis der
Behand­lung, die wir ihnen ange­dei­hen las­sen, in ihre Gedan­ken ein­ge­stanzt,
in ihre See­len ein­ge­gra­ben hat. Für das, was ihnen, ihren Eltern und Kin­dern
und Mit­men­schen, ange­tan wird, gibt es ein tref­fen­des Wort: Ter­ror! Die­ser
ver­ba­le Bume­rang ist weder über­trie­ben noch unüber­legt, son­dern
wis­sen­schaft­lich fun­diert: Nicht nur psy­cho­lo­gi­sche Theo­rie, son­dern
neu­ro­wis­sen­schaft­li­che empi­ri­sche Befun­de zei­gen, dass trau­ma­ti­sie­ren­de
Erfah­run­gen sich nicht nur kogni­tiv in zen­tra­len­ner­vö­sen Area­len fest­set­zen,
son­dern über­dau­ern­de, gewis­ser­ma­ßen tief­ge­fro­re­ne see­li­sche Spu­ren
hin­ter­las­sen, und dass sozia­le Aus­gren­zung zu dem Erle­ben gehört, das star­ke
Aggres­sio­nen und Hass­ge­füh­le nach sich zieht. Haben Poli­ti­ke­rIn­nen, Medi­en,
Ver­tre­te­rIn­nen har­ter, also krie­ge­ri­scher Reak­ti­ons­mus­ter, deren Ankla­gen
und Ver­däch­te sich auf die fran­zö­si­schen Ban­lieus und das bel­gi­sche
Molen­beek – aber auch auf deut­sche mus­li­mi­scher Milieus – rich­ten, den dort
leben­den jun­gen Men­schen
Bil­dungs- und Aus­bil­dungs­chan­cen, einen siche­ren und sta­bi­len Platz in der
euro­päi­schen Gesell­schaft, eine Zukunfts­per­spek­ti­ve ange­bo­ten? Ihnen Wege
aus der Sack­gas­se von Hoffnungs‑, Zukunfts- und Wür­de­lo­sig­keit gezeigt? Auch
nur ein ein­zi­ges Wort der Ent­schul­di­gung oder auch der Erklä­rung für die
Ermor­dung von Eltern, Geschwis­ter, Freun­den, Part­ne­rIn­nen und Gelieb­ten im
Namen von Frei­heit und Gerech­tig­keit gesagt? Die nüch­ter­nen Ant­wor­ten auf
die­se Fra­gen füh­ren nicht gera­de­wegs, aber auf ziem­lich direk­ten Umwe­gen,
ins Paris vom Novem­ber 2015. Die Pari­ser Anschlä­ge sind die ande­re Sei­te der
Implo­si­on der Wer­te, in deren Namen Unge­rech­tig­keit, Aus­beu­tung,
Dis­kri­mi­nie­rung gesche­hen.

*Die Paw­low­schen Refle­xe*

Man­hat­tan, Madrid, Char­lie Heb­do und jetzt Paris – die auf sie fol­gen­den
Refle­xe ähneln denen von Paw­lows Hun­den, die lern­ten, auf einen Klin­gel­ton
mit Spei­chel­fluss zu reagie­ren, auch wenn das Fres­sen weit weg war:
Poli­ti­ke­rIn­nen und Medi­en und lei­der auch vie­le eigent­lich ver­nünf­ti­ge und
beson­ne­ne Men­schen reagie­ren auf die Anschlä­ge mit krie­ge­ri­schem Eifer und
geball­ter Affekt­la­dung, ohne dass die Groß­hirn­rin­de zwi­schen­ge­schal­tet ist.
Kaum ein nach­denk­li­ches, ein selbst­kri­ti­sches, ein über den Hori­zont der
Selbst­ge­rech­tig­keit hin­aus­rei­chen­des Wort. Der eige­ne Ter­ror über­schrei­tet
die Schwel­le zur bewuss­ten Wahr­neh­mung und Refle­xi­on nicht, der ande­re
Ter­ror wird mit noch mehr Ter­ror beant­wor­tet: Nie­mand weiß, woher die
Atten­tä­ter stam­men, aber syri­sche Orte wer­den bom­bar­diert, Men­schen ster­ben,
die mit den Ver­bre­chern von Paris so viel zu tun haben wie wir mit dem Mann
im Mond. Sie, die euro­päi­schen Akteu­re in die­sem Hor­ror der Eska­la­ti­on,
machen nicht weni­ger Angst als die Mör­der, die ihren isla­mi­schen Glau­ben
miss­brau­chen. Im Gegen­teil: Auch sie schü­ren Angst, sie nut­zen die von ihnen
und den Medi­en befeu­er­te Hys­te­rie, um sich Rück­halt für ihren ver­bohr­ten
aber wohl­kal­ku­lier­ten Feld­zug gegen einen Feind zu sichern, der nicht zu
besie­gen ist, solan­ge Wirt­schafts- und mili­tä­ri­sche Krie­ge der übri­gen Welt
west­li­ches, mehr und mehr euro­päi­sches Den­ken und Han­deln auf­zwin­gen. Und
sie ver­su­chen, uns auf Refle­xe zu kon­di­tio­nie­ren, die sich vor den
auf­klä­ren­den Gedan­ken schie­ben sol­len:

*Der Reflex der Frei­heit, die ver­tei­digt wer­den soll*: Wel­che Frei­heit ist
gemeint? Die Frei­heit, wo es gera­de gefällt in der Welt Bom­ben wer­fen,
Gra­na­ten zün­den, Droh­nen ins Ziel steu­ern zu kön­nen? Die Frei­heit, Men­schen,
wo immer es sich anbie­tet, bis zum Zusam­men­bruch ihrer Lebens­geis­ter für das
eige­ne Wohl­le­ben aus­sau­gen zu kön­nen? Die Frei­heit, um Hil­fe schrei­en­de, vor
Gewalt flie­hen­de, nach Brot und Was­ser oder auch nur nach einer Arbeit oder
ein klei­nes biss­chen Zukunft suchen­de Men­schen ertrin­ken, an Zäu­nen
schei­tern, in Lagern ver­rot­ten zu las­sen? Oder auch nur die Frei­heit, sich
Res­sour­cen für einen Appel und ein Ei aneig­nen, sie also genau genom­men
plün­dern zu kön­nen?

*Der Reflex der Kul­tur, um die gekämpft wird*. Wo die west­li­chen
Mana­ge­rIn­nen, Poli­ti­ke­rIn­nen und Mili­tärs hin­tre­ten, gedeiht kei­ne Kul­tur
mehr oder nur noch die zur Ware mutier­te, die pro­fi­ta­ble. Die über
Jahr­tau­sen­de gewach­se­ne und gepfleg­te kul­tu­rel­le Tra­di­ti­on der erober­ten
Land­stri­che und ihrer Bewoh­ner wird besetzt, miss­ach­tet, aus­ge­löscht. Oder
mei­nen die eif­ri­gen Kul­tur­kämp­fe­rIn­nen die bil­den­den Küns­te? Haben etwa die
Fabrik­in­sas­sen in Ban­gla­desh oder die Plan­ta­gen­knech­te in Spa­ni­en noch Zeit
und Kraft, Musik­in­stru­men­te spie­len zu ler­nen, gefäl­li­ge Stü­cke ein­zu­üben
oder sich Dich­tern zu wid­men und Phi­lo­so­phen zu stu­die­ren? Wel­che Igno­ranz,
Selbst­ge­fäl­lig­keit und Bor­niert­heit ste­cken hin­ter einer Mei­nung, es gehe
beim Kampf gegen den Ter­ror eigent­lich um kul­tu­rel­le Hege­mo­nie?

*Der Reflex der Reli­gi­on, der nicht zu trau­en ist*. Reli­giö­ser Fana­tis­mus
trei­be die Atten­tä­ter, in der Tages­schau wird ein Mus­lim
gefragt: „Wel­che Gefüh­le haben Sie, wenn Ihre Glau­bens­brü­der sol­che
Atten­ta­te ver­üben?”. Hat jemals hier­zu­lan­de irgend­wo irgend­wann jemand
Chris­ten die Fra­ge gestellt, wie es ihnen geht, wenn ihre Glau­bens­brü­der
töd­li­che Droh­nen abfeu­ern, mit Pan­zer­hau­bit­zen auf Zivi­lis­ten schie­ßen und
Bom­ben auf Wohn­häu­ser abwer­fen? Und vor­her und anschlie­ßend in das
nächst­ge­le­ge­ne Got­tes­haus gehen, um gött­li­chen Bei­stand bit­ten und das
Vater­un­ser beten? Im Rücken die zehn Gebo­te als christ­li­che Marsch­rou­te?
Mit wel­chem Recht, mit wel­cher Moral gel­ten für die christ­li­che Untat ande­re
Bemes­sungs- und Bewer­tungs­grund­la­gen als für die mus­li­mi­sche?
Bei­de Reli­gio­nen recht­fer­ti­gen weder Mord- und Tot­schlag noch Ter­ror, aber
im Namen von bei­den gesche­hen sie, und es ist nicht zu über­hö­ren, dass mehr
ent­schie­de­ne Wor­te der Abgren­zung von mus­li­mi­schen als von christ­li­chen
Geist­li­chen kom­men.

*Und wir Frie­dens- und Gerech­tig­keits­be­weg­ten?*

Wir wol­len nicht wei­nen. Aber wenn, dann soll­te unse­re Trau­er allen gel­ten,
die Opfer geziel­ter, sys­te­ma­ti­scher Gewalt wer­den, in Paris und Madrid und
New York so gut wie in Ban­gla­desh und in Syri­en und in Afgha­ni­stan und im
Mit­tel­meer und in Grie­chen­land und auf dem Bal­kan und in Euro­pa und bei
Fox­conn und und und…Haben Frau Mer­kel und Herr Hol­lan­de auch um sie geweint?
Erst wenn ihre Trä­nen allen Opfern gel­ten, auch denen, für die sie die
poli­ti­sche Ver­ant­wor­tung tra­gen, legen sie ihre Cha­rak­ter­mas­ken ab und
zei­gen ihr mensch­li­ches Ant­litz.

Nie­mand kann sagen, sie/er wis­se nicht, und wenn sie/er kei­ne Vor­stel­lung
von den ent­mensch­lich­ten Pro­duk­ti­ons- und Lebens­be­din­gun­gen hat, auf denen
unser fried­li­cher und waren­ge­sät­tig­ter All­tag ruht, will sie/er nicht sehen
und hören. Solan­ge wir Euro­pä­er uns nicht tag­täg­lich bewusst machen, dass
hin­ter jedem Klei­dungs­stück, das wir kau­fen, hin­ter jedem Obst und Gemü­se,
das wir essen, hin­ter jedem Kaf­fee, Tee und Kakao, den wir trin­ken, hin­ter
jedem Han­dy und jedem Com­pu­ter, den wir nut­zen, und hin­ter jedem Liter
Ben­zin, den wir in unser Auto pum­pen, Men­schen wie wir ste­hen, die in
unmensch­li­cher Art und Wei­se benutzt, betro­gen und gequält wer­den, und
solan­ge wir nicht ganz prak­tisch mit der Been­di­gung die­ser Dis­kre­pan­zen
begin­nen, solan­ge wir denen nicht Ein­halt gebie­ten, die in unse­rem Namen ihr
Ver­nich­tungs­po­ten­zi­al nut­zen, solan­ge wir nicht mas­sen­haft Mensch­lich­keit
und Gerech­tig­keit ein­for­dern und erzwin­gen, wer­den die Einen wei­ter bom­ben
und droh­nen, und die Ande­ren wer­den sich in die Luft spren­gen, und sie alle
wer­den noch mehr Men­schen in einen sinn­lo­sen Tod rei­ßen. Wenn eine
mas­sen­haf­te Bewe­gung für Frie­den und Gerech­tig­keit je Sinn, Zweck und Ziel
gehabt hat, dann jetzt.

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