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Digital – der große Bruder, oder was? Interview mit dem Informatiker und Mathematiker Dr. Werner Meixner von der Technischen Universität München

Posted on 22. Januar 202030. September 2024 By Jürgen Günther

Die tota­le Digi­ta­li­sie­rung ist ein poli­ti­sches Pro­gramm

Schat­ten­blick (SB): Ihr neu­es Buch, das in weni­gen Wochen erschei­nen wird, trägt den Titel „Wollt Ihr die tota­le Digi­ta­li­sie­rung? – Rück­kehr zur Ver­nunft in Zei­ten tri­um­pha­len Unheils”. Las­sen Sie uns über Digi­ta­li­sie­rung spre­chen und über den Unter­schied, den Sie zwi­schen der Digi­ta­li­sie­rung als Tech­no­lo­gie und der tota­len Digi­ta­li­sie­rung machen.

Wer­ner Meix­ner (WM): Stel­len Sie sich eine anti­ke grie­chi­sche Vase vor, die zer­bro­chen ist. Man kann sie wie­der zusam­men­set­zen. Digi­ta­li­sie­rung – im tech­ni­schen Sinn – ist die Ver­wand­lung der ana­lo­gen Welt in Bruch­stü­cke. Die tota­le Digi­ta­li­sie­rung ist etwas kom­plett ande­res. Sie ist eine Stra­te­gie, ein Pro­gramm zur voll­stän­di­gen Erfas­sung aller ana­lo­gen Wirk­lich­kei­ten und Ver­hal­tens­äu­ße­run­gen sowie zur Kon­trol­le aller Kom­mu­ni­ka­ti­ons­vor­gän­ge in der Gesell­schaft zwecks wirt­schaft­li­cher Steue­rung und poli­ti­scher Über­wa­chung. Das ist ein poli­ti­sches Pro­gramm! Dazu benö­tigt man voll­stän­di­ge elek­tro­ni­sche Ver­net­zung. Die­se bei­den Digi­ta­li­sie­rungs­be­grif­fe muss man unbe­dingt unter­schei­den.

SB: Reden wir über die tota­le Digi­ta­li­sie­rung. Sie sagen, die­se ver­fol­ge eine Stra­te­gie. Um was geht es da?

WM: Es geht ers­tens um Eigen­tum und sei­ne Ent­eig­nung; z.B.
Ent­eig­nung von Roh­stof­fen, Ent­eig­nung, wie sie durch die Pri­va­ti­sie­rung von Staats­ver­mö­gen statt­fin­det, und Ent­eig­nung von digi­ta­li­sier­ten Intel­li­genz­leis­tun­gen.

SB: Wie muss ich mir Letz­te­res vor­stel­len?

WM: Ver­hal­tens­äu­ße­run­gen und Kom­mu­ni­ka­ti­on sind per­sön­li­che Intel­li­genz­leis­tun­gen und als sol­che arbeits­recht­lich rele­van­te Arbeits­leis­tun­gen. Sie sind Eigen­tum des Urhe­bers. Ihre Digi­ta­li­sie­rung schafft kein neu­es Eigen­tums­ver­hält­nis, kei­ne neue Urhe­ber­schaft.
Zwei­tens geht es um Pro­duk­ti­ons­mit­tel. Unter frü­he­ren kapi­ta­lis­ti­schen Bedin­gun­gen waren die Maschi­nen Eigen­tum von Kapi­ta­lis­ten. Damit haben Arbei­ter etwas pro­du­ziert. Heu­te gehört das Pro­duk­ti­ons­mit­tel nicht mehr den Kapi­ta­lis­ten, son­dern es befin­det sich im Besitz des arbei­ten­den Men­schen; es ist näm­lich sein Gehirn. Sei­ne Intel­li­genz ist das Pro­duk­ti­ons­mit­tel und als sol­ches ein völ­lig unver­äu­ßer­li­ches Eigen­tum des Men­schen. Was statt­fin­det, ist die Ent­eig­nung des wert­volls­ten Roh­stof­fes, den Men­schen pro­du­zie­ren: die Pro­to­kol­le ihrer Intel­li­genz­leis­tun­gen. Die heu­te ver­füg­ba­ren Maschi­nen inklu­si­ve Robo­ter kön­nen nicht leis­ten, was ein mensch­li­ches Gehirn leis­tet; sie sind nicht intel­li­gent. Bes­ten­falls kön­nen sie mensch­li­che Intel­li­genz simu­lie­ren.
Die­se Pro­to­kol­le oder anders aus­ge­drückt – die per­so­nen­be­zo­ge­nen Daten – wer­den auf staats­ähn­li­che Kon­zer­ne über­tra­gen. Damit geht die Wirt­schafts­leis­tung in den Besitz der Kon­zer­ne über. Drit­tens schließ­lich geht es um die Ent­eig­nung von natür­li­chen Staa­ten. Die Staa­ten haben unter Bedin­gun­gen der tota­len Digi­ta­li­sie­rung nur noch eine Dis­zi­pli­nie­rungs­funk­ti­on; sie wer­den zu Über­wa­chungs­staa­ten.

SB: Wer hat die Stra­te­gie für die tota­le Digi­ta­li­sie­rung ent­wi­ckelt?

WM: Das waren und sind die US-ame­ri­ka­ni­schen Groß­kon­zer­ne in Koope­ra­ti­on mit Think Tanks. Sie stel­len ein Macht­zen­trum dar, einem Staat ver­gleich­bar, der sei­ne Macht auch gegen ande­re Staa­ten anwen­det. Es sind die glei­chen, die sich frü­her vor allem mit Regime Chan­ge befasst haben in der Absicht, Roh­stoff­quel­len über­neh­men zu kön­nen. Die ent­schei­den­de Wen­de hat nach dem Unter­gang der Sowjet­uni­on und des sog. sozia­lis­ti­schen Lagers statt­ge­fun­den. Der moder­ne Han­dels­krieg rich­tet sich nicht mehr nur auf Roh­stof­fe und nicht mehr nur gegen ver­meint­lich sozia­lis­ti­sche und Ent­wick­lungs­län­der, son­dern auch gegen Euro­pa. Deutsch­land ist eines der Opfer die­ses Krie­ges. Die Stra­te­gie ist Teil die­ser impe­ria­lis­ti­schen Poli­tik.

SB: Wie stel­len Sie sich im Unter­schied dazu eine lin­ke Visi­on von Digi­ta­li­sie­rung vor? Weni­ger besorg­nis­er­re­gend?

WM: Begrif­fe wie links und rechts haben mei­nes Erach­tens aus­ge­dient. Inso­fern wür­de ich nicht von einer lin­ken Visi­on spre­chen, auch nicht von einer besorg­nis­er­re­gen­den Tech­nik. Die Tech­nik als sol­che ist nicht besorg­nis­er­re­gend; besorg­nis­er­re­gend kann das sein, was mit ihr getan wird. Daten müs­sen nicht in weni­gen rie­si­gen Zen­tren gespei­chert wer­den. Wenn Herr Mei­er mit Herrn Mül­ler tele­fo­nie­ren oder per E‑Mail kom­mu­ni­zie­ren will, soll­te das auf die ein­fachs­te Wei­se gesche­hen, nicht auf dem Umweg über den Atlan­tik, damit dort die Daten der bei­den gespei­chert, Gesprä­che abge­hört und Mail­ver­kehr aus­ge­wer­tet wer­den kön­nen.
Die For­de­rung, die Tech­nik müs­se dem Men­schen die­nen, ist eine ethi­sche For­de­rung. Sie bedeu­tet, dass der Sinn der Tech­nik­an­wen­dung wert­voll für den Men­schen und für die Gesell­schaft sein soll. Tech­nik soll Erleich­te­rung für den Men­schen schaf­fen, ihm mehr Zeit für Beschäf­ti­gun­gen außer­halb der Arbeit geben. Das ist kei­ne uto­pi­sche For­de­rung, es gibt Alter­na­ti­ven – zum Bei­spiel die zwi­schen Zen­tra­li­sie­rung und Dezen­tra­li­sie­rung. Über­wa­chung ist natür­lich nur (oder jeden­falls am effek­tivs­ten) zen­tral mög­lich. Grund­sätz­lich soll­te der Bür­ger ent­schei­den kön­nen, wel­che Tech­nik er bevor­zugt. Zu oft wird aber am grü­nen Tisch über die Köp­fe der Bür­ger hin­weg ent­schie­den statt sie demo­kra­tisch ein­zu­be­zie­hen. Letz­te­res ist mei­ne Visi­on.
Die Rea­li­tät sieht gegen­wär­tig jedoch anders aus. Das der­zeit pro­pa­gier­te 5‑G-Netz, die Steue­rung aus dem Welt­raum, bedient ganz ande­re Zwe­cke, als den Men­schen zu die­nen. Das liegt auch dar­an, dass die mög­li­chen Alter­na­ti­ven der­zeit nur in beschei­de­nem Umfang erör­tert wer­den. Ver­schie­de­ne Grup­pen dis­ku­tie­ren und ent­wi­ckeln sie in eige­nen Zir­keln, aber so – ohne eine Zusam­men­füh­rung – ent­steht kei­ne alter­na­ti­ve Stra­te­gie. Das ist ein Rie­sen­pro­blem unse­rer heu­ti­gen Demo­kra­tie.

SB: Wor­auf soll­te eine alter­na­ti­ve Stra­te­gie zie­len?

WM: Tech­nik ist nicht vor­be­stimmt. Es gibt immer Ent­schei­dungs­frei­heit. Das gilt nicht nur für die Digi­ta­li­sie­rung. Neh­men Sie die erneu­er­ba­ren Ener­gien; ob man die­se zen­tral oder dezen­tral för­dert, geschah und geschieht nach Inter­es­sen­la­ge. Bei­de Optio­nen sind mög­lich. Die mäch­ti­ge­ren Inter­es­sen haben sich bis­lang weit­ge­hend durch­ge­setzt. Dafür ist ein flo­rie­ren­der Indus­trie­zweig, die Solar­in­dus­trie, geop­fert wor­den. Es steht schlecht um die Wind­kraft; an man­chen Stel­len, weil sie dezen­tral abge­würgt wird, an ande­rer Stel­le, weil sich – wie im Fall des rie­si­gen Wind­parks in der Nord­see – die Regie­rung zen­tral für einen Kon­zern ent­schie­den hat. Die Fol­gen erle­ben wir: Lei­tun­gen müs­sen durch gro­ße Tei­le des Lan­des ver­legt wer­den. Dage­gen regt sich Wider­stand in der Bevöl­ke­rung, was die not­wen­di­ge Ener­gie­wen­de auf­hält.

SB: Wie rea­lis­tisch ist es, sich unter den heu­ti­gen Bedin­gun­gen, sprich gesell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­sen, etwas mehr als Ein­zel-Aktio­nen gegen die tota­le Digi­ta­li­sie­rung zu wün­schen?

WM: Das hängt von der Funk­ti­ons­fä­hig­keit unse­rer Demo­kra­tie ab. Wir hat­ten in den ers­ten drei Jahr­zehn­ten nach dem Krieg eine funk­tio­nie­ren­de sozia­le Markt­wirt­schaft, die ja auch kapi­ta­lis­tisch war, und trotz­dem hat es einen Aus­gleich von Inter­es­sen gege­ben.

SB: Ver­mut­lich wegen der Exis­tenz des sozia­lis­ti­schen Lagers?

WM: Nach dem Fall der Mau­er erleb­ten wir tat­säch­lich so etwas wie einen Regime-Chan­ge hin zu einer markt­ra­di­ka­len Form des Kapi­ta­lis­mus nach US-ame­ri­ka­ni­schem Mus­ter, in der ein Inter­es­sen­aus­gleich nicht mehr exis­tiert. Hin­zu kommt die schritt­wei­se Umwand­lung unse­res Staa­tes in einen Über­wa­chungs­staat. Wenn wir unse­re Pri­vat­sphä­re nicht ener­gisch schüt­zen, wird es kei­ne Inter­es­sen­ver­tre­tung der Bür­ger mehr geben.

SB: Und den­noch ist der Umgang vie­ler Men­schen mit ihren eige­nen Daten, ihrer Pri­vat­sphä­re – freund­lich aus­ge­drückt – sehr ent­spannt, man könn­te auch sagen sorg­los. Mein Ein­druck: Vie­le
ver­ste­hen die Bedeu­tung des Roh­stoffs per­so­nen­be­zo­ge­ner Daten nicht, weil sie die Bedeu­tung an ein­zel­nen Tele­fo­na­ten, Mails, Recher­chen fest­ma­chen, nicht aber an deren Zusam­men­füh­rung zu einem Abbild der Per­sön­lich­keit. Wie sehen Sie das?

WM: Wür­den die Daten über unse­re eige­ne Per­son, ihr Ver­hal­ten und jede ihrer Ent­schei­dun­gen Stun­de für Stun­de doku­men­tiert, auf Papier fest­ge­hal­ten und täg­lich von einem Boten abge­holt, so wür­de jedem Men­schen rasch bewusst, was und wie­viel über ihn da gera­de sei­ne Pri­vat­sphä­re ver­lässt. Die­ses „Abho­len” fin­det aber per­ma­nent und unbe­merkt statt; wir sehen den Trans­fer unse­rer Daten nicht mit eige­nen Augen. Des­halb blen­den ihn vie­le Men­schen aus. Wäh­rend die Wirt­schaft sehr gut ver­steht, wel­che Aus­wir­kun­gen es hat, wenn Daten aus ihrem For­schungs- oder Pro­duk­ti­ons­be­reich gestoh­len wer­den, durch­schaut die Pri­vat­per­son den oft von ihr selbst ermög­lich­ten Daten­dieb­stahl nicht. Aber auch durch die­sen kann neben dem Scha­den für den Ein­zel­nen Wirt­schafts­kraft zer­stört wer­den, weil es bei der Ver­hal­tens­be­ob­ach­tung auch um Krea­ti­vi­tät geht.
Es kommt aber noch etwas Gra­vie­ren­des hin­zu: Ver­hal­tens­da­ten kön­nen bewer­tet wer­den. Geht man bei Rot über die Stra­ße, könn­te das bewer­tet wer­den. Auch eine poli­ti­sche Mei­nungs­äu­ße­rung könn­te als ver­däch­tig ein­ge­stuft wer­den. Chi­na lie­fert ein abschre­cken­des Bei­spiel dafür, wie sich das Scoring Sys­tem aus­wir­ken kann.

SB: Einer Stu­die des Bun­des­jus­tiz­mi­nis­te­ri­ums zufol­ge gibt es Scoring auch in Deutsch­land und wird z.B. von Ban­ken und Ver­si­che­run­gen prak­ti­ziert.

WM: Ban­ken und Ver­si­che­run­gen inter­es­sie­ren sich sehr für man­che unse­rer Daten und machen von deren Ana­ly­se z.B. Kre­dit­ver­ga­ben oder Ver­si­che­rungs­kon­di­tio­nen abhän­gig. Das beschä­digt das Ver­trau­en nicht nur in die­se Bran­chen, son­dern auch in den Staat, der das Scoring nicht ver­hin­dert.

SB: Sie haben an ande­rer Stel­le davon gespro­chen, dass die Digi­ta­li­sie­rung in der Kon­se­quenz die Pri­vat­sphä­re des Men­schen völ­lig auf­lö­sen und ihn zu einer Amei­se machen wird. Erläu­tern Sie bit­te die­sen Ver­gleich.

WM: Die Amei­se tut das, was ihr gene­tisch als Teil des Amei­sen­staa­tes vor­ge­ge­ben ist. Der Mensch stellt sich sei­ne Auf­ga­ben selbst. Dazu benö­tigt er aber eine Pri­vat­sphä­re, in der er unge­stört krea­tiv sein und sei­ne Ent­schei­dun­gen unbe­ein­flusst fäl­len kann. Um eine vor­ge­ge­be­ne Auf­ga­be – z.B. im Arbeits­pro­zess zu lösen, bedarf es die­ser Pri­vat­sphä­re nicht, zur Ent­fal­tung sei­ner Krea­ti­vi­tät jedoch benö­tigt der Mensch unge­stör­te Ent­wick­lungs­zeit. Wenn er die nicht hat, führt er am Ende nur noch aus; er wird unter Bedin­gun­gen der tota­len Digi­ta­li­sie­rung zur Amei­se.

SB: Unge­stört auch durch Vor­auswahl von Recher­che­er­geb­nis­sen im Inter­net, wenn ich Sie rich­tig ver­ste­he?

WM: Unge­stört und nicht fremd gesteu­ert durch die soge­nann­te Pro­fil­bil­dung, die die Aus­wahl­mög­lich­kei­ten und damit auch die Ent­schei­dungs­mög­lich­kei­ten und so auto­ma­tisch die Krea­ti­vi­tät beschränkt; man bewegt sich dann nur noch in der eige­nen Bla­se.

SB: Ich erin­ne­re mich an einen Text von Ihnen, in dem Sie von Dieb­stahl und volks­wirt­schaft­li­chem Raub spre­chen, der die wirt­schaft­li­che Kraft eines Staa­tes zer­stö­ren kann. Die glei­chen Unter­neh­men, die die Digi­ta­li­sie­rung vor­an­trei­ben, zer­stö­ren die wirt­schaft­li­che Kraft des Staa­tes? Das müs­sen Sie erklä­ren.

WM: In einer neo­li­be­ra­len Markt­wirt­schaft sind glo­ba­le Kon­zer­ne gleich­zu­set­zen mit frem­den Staa­ten. Sie tre­ten in Kon­kur­renz zu Natio­nal­staa­ten und ihren Bür­gern. Wenn der Daten­roh­stoff von die­sen glo­ba­len Kon­zer­nen gestoh­len wird, ist die Schä­di­gung der Bür­ger Deutsch­lands oder eines ande­ren ein­zel­nen Lan­des ja kein The­ma für die Die­be. Da besteht also kein Inter­es­sen­kon­flikt. Hin­zu kommt: Je weni­ger demo­kra­tisch ein Staat ist oder schritt­wei­se wird, je weni­ger ver­tritt er noch die Inter­es­sen der eige­nen Bür­ger. Die Ver­tre­tung von Inter­es­sen der Bür­ger durch eine Regie­rung ist ja nicht auto­ma­tisch gege­ben, son­dern durch­aus offen.

SB: Wel­che Bedeu­tung haben bei der Steue­rung der Digi­ta­li­sie­rung aus Ihrer Sicht der Deut­sche Ethik­rat, Ethik-Kom­mis­sio­nen an Uni­ver­si­tä­ten und Ethik-Beauf­trag­ten in Unter­neh­men?

WM: Ich habe kein Ver­trau­en in sol­che Kom­mis­sio­nen. Ich glau­be nicht, dass die tota­le Digi­ta­li­sie­rung durch Ethik­rä­te oder ‑kom­mis­sio­nen ver­hin­dert wird. Es fehlt an Demo­kra­tie und ethi­schem Bewusst­sein in unse­rer Gesell­schaft. Ethik-Kom­mis­sio­nen sol­len wie ein Beru­hi­gungs­mit­tel auf die Bür­ger wir­ken. Sie sol­len den Ein­druck erzeu­gen, da sei jemand mit gro­ßer Exper­ti­se, der die Din­ge in die rich­ti­gen Bah­nen lenkt, die Digi­ta­li­sie­rung so steu­ert, dass Daten­miss­brauch und ande­re nega­ti­ve Effek­te nicht ein­tre­ten kön­nen. Aber das fin­det nicht statt, kann zum Teil auch gar nicht mehr statt­fin­den, allein als Fol­ge der Pri­va­ti­sie­rung der Wis­sen­schaft.
Digi­ta­li­sie­rung als ein tech­ni­sches Hilfs­mit­tel könn­te in gro­ßem Umfang zur Lösung von Mensch­heits­pro­ble­men bei­tra­gen. Das hat aber nichts mit der tota­len Digi­ta­li­sie­rung zu tun, die der­zeit nicht nur bei uns statt­fin­det. Dar­an ändern auch Ethik-Kom­mis­sio­nen nichts. Um Mensch­heits­pro­ble­me zu lösen oder min­des­tens ernst­haft anzu­ge­hen, muss das poli­tisch gewollt sein. Die­ser Wil­le fehlt, wie man auch an der Beset­zung der Kom­mis­sio­nen sieht.
Hin­zu kommt: Es fin­det auch eine Digi­ta­li­sie­rung der ethi­schen Wer­te statt. Sie die­nen ja eigent­lich als Richt­schnur dafür, was gut und rich­tig, ver­tret­bar und/oder erstre­bens­wert ist. Wenn man die­se Wer­te digi­ta­li­siert, lan­det man bei den Bewer­tun­gen, bei Eva­lua­tio­nen, knap­pen Sta­tis­ti­ken. Jede Leis­tungs­mes­sung fin­det heu­te durch Eva­lu­ie­rung statt. Das hat mit dem ethi­schen Vor­gang der ver­ant­wort­li­chen Ein­schät­zung der Dinge/Prozesse nichts mehr zu tun. Der Ethik­rat müss­te eigent­lich die Digi­ta­li­sie­rung ethi­scher Wer­te ver­hin­dern, aber das tut er nicht. Er schaut bes­ten­falls auf Ver­träg­lich­keit, mil­dert Effek­te ggf. ab. Gewis­sens­ent­schei­dun­gen trifft der Mensch aber mit sei­ner gan­zen Per­son, all sei­nen Eigen­schaf­ten. Das sind kom­pli­zier­tes­te Abwä­gun­gen. Es gibt kei­nen Algo­rith­mus dafür. Genau des­halb gibt es die Ethik. Wenn ich anfan­ge, ethi­sche Wer­te zu digi­ta­li­sie­ren, ver­nich­te ich die Ethik genau an dem Punkt, an dem es dar­auf ankä­me sie hoch­zu­hal­ten. Die von Ihnen ange­spro­che­nen Gre­mi­en haben aus mei­ner Sicht nur eine Fei­gen­blatt­funk­ti­on.

SB: Noch vor ca. 10 Jah­ren gab es welt­weit (auch unter Lin­ken) die Hoff­nung, die Digi­ta­li­sie­rung wür­de Demo­kra­tie- und Pro­test­be­we­gun­gen stär­ken und hät­te so etwas wie ein revo­lu­tio­nä­res Poten­zi­al. Das hat sich – abge­se­hen von der Kli­ma­be­we­gung – m.E. nicht bestä­tigt. Oder hal­ten Sie es für mög­lich, dass die Digi­ta­li­sie­rung auch Chan­cen für sozia­le und poli­ti­sche Kräf­te eröff­net und dadurch ein sozi­al­de­mo­kra­ti­sches oder, wenn Sie wol­len, auch sozia­lis­ti­sches Pro­jekt eine neue Chan­ce bekommt?

WM: Gegen­fra­ge: Glau­ben Sie, dass Chi­na sich durch Digi­ta­li­sie­rung zur Demo­kra­tie ent­wi­ckelt? Ist Chi­na der Demo­kra­tie durch Wohl­stand über­haupt näher gekom­men? War­um sind denn alle sozia­lis­ti­schen Pro­jek­te auf dem süd­ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nent wie auch über­all sonst auf der Welt geschei­tert? Es wird immer wie­der über­se­hen, dass jede Tech­nik poli­tisch gelenkt wer­den kann – in die eine oder die ande­re Rich­tung. In der Tat gibt es neue Mög­lich­kei­ten der Ver­net­zung – sie­he Kli­ma­be­we­gung oder den sei­ner­zeit eupho­risch begrüß­ten Ara­bi­schen Früh­ling. Aber was ist dar­aus gewor­den? Die Mög­lich­kei­ten des Staa­tes aber auch der gro­ßen Think Tanks, auf sol­che Bewe­gun­gen ein­schrän­kend zu reagie­ren, sind groß. Den­ken Sie nur an die Dif­fa­mie­run­gen von Gre­ta Thun­berg, an die pri­va­ten Insti­tu­te, die Kli­ma­wan­del-Ver­leug­ner mit zwei­fel­haf­ten Argu­men­ten ver­sor­gen usw.
Ich schlie­ße nicht aus, dass mit tech­ni­schen, digi­ta­len Mit­teln ein gesell­schaft­li­cher Pro­zess ange­sto­ßen wird. Er ist aber zum Schei­tern ver­ur­teilt ist, wenn er nicht zugleich von ganz ande­ren gesell­schaft­li­chen Kräf­ten gespeist wird. Sonst kön­nen sol­che Bewe­gun­gen nicht zu dau­er­haf­tem Erfolg füh­ren.

Quel­le: Schat­ten­blick vom 22.02.2020

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